
Das Drama um die fünfte Schleuse Copyright Nordeutsche Rundschau
Ursprünglich sollte die neue Schleuse in Brunsbüttel schon fertig sein – tatsächlich dauert es noch mindestens bis 2020. Eine Chronologie der Langsamkeit.

Das Drama um die fünfte Schleuse
Ursprünglich sollte die neue Schleuse in Brunsbüttel schon fertig sein – tatsächlich dauert es noch mindestens bis 2020. Eine Chronologie der Langsamkeit.
20. März 2007
Es geht los
Jörg Hennerkes, Staatssekretär des damaligen Bundesverkehrsministers Wolfgang Tiefensee (SPD), verkündet in Brunsbüttel: Für 280 Millionen Euro baut der Bund eine fünfte Schleuse. Baustart soll 2009 sein, Eröffnung dreieinhalb Jahre später. Im Bestfall also 2012.

19. Juli 2007
Ein konkretes Datum
Gesa Völkl, Leiterin des bundeseigenen Wasser- und Schifffahrtsamts Brunsbüttel, nennt ein konkretes Fertigstellungsjahr: In Betrieb gehen soll die fünfte Schleuse 2013
30. April 2009
Es dauert ein Jahr länger
Karin Roth (SPD), Staatssekretärin von Tiefensee, gibt das Startsignal für den Bau einer neuen Versorgungsleitung unter den Brunsbütteler Schleusen. Dabei sagt sie: Der Bau der fünften Schleuse erfolgt bis 2014.
2010 Es geht los
2010 Ein konkretes Datum 2015
2012 Es dauert ein Jahr länger 2016
2013 Es gibt Geld
2012 Der Minister kommt
2012 Es wird „aufwendig“
2013 Noch teurer, noch länger 2020
2013 Große Pötte bleiben draußen
2013 Noch mehr schlechte Nachrichten
2013 „Sondereinsatztruppe“
2013 Ramsauer vor Ort
2013 Schleswig-Holstein und Hamburg im Schulterschluss
Der Bau der fünften Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel wird noch teurer und dauert noch länger als zuletzt geplant. Hatte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zuletzt verlauten lassen, dass die Schleuse statt 300 Millionen Euro voraussichtlich 360 Millionen kosten werde und statt 2018 nicht vor 2020 eröffnet wird, rechnet er nun sogar mit 375 Millionen Euro und einer Fertigstellung erst im Jahr 2021. Das geht aus einem Bericht hervor, den Ramsauer gestern dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorgelegt hat. Der schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete und Haushaltspolitiker Norbert Brackmann fürchtet sogar, dass der Preis für den Schleusenbau im Zuge der Ausschreibung noch weiter klettert: „Die 375 Millionen Euro werden noch nicht das Ende sein“, sagte er unserer Zeitung. Der Haushaltsausschuss sprach sich gestern für die Bereitstellung der zusätzlichen 75 Millionen Euro aus – aber nur unter der Bedingung, dass der Bau der Schleuse im April ausgeschrieben wird.
Die neuen Probleme liegen vor allem an den unerwartet aufwendigen Gründungsarbeiten für die neue Schleuse. Da der Baugrund weich ist, müssen zunächst 2500 Betonpfähle von 40 Meter Länge in die Erde gerammt werden, auf denen dann die fünfte Schleuse errichtet wird. „Unter Berücksichtigung der jetzt erkannten technischen Detailprobleme ergibt sich eine Verlängerung der Bauzeit auf sieben Jahre“, heißt es in Ramsauers Bericht. Bei einem Baustart 2014 würden daher „Haushaltsmittel bis zum Jahr 2021 benötigt“.
Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) zeigte sich verärgert über die neue Verschiebung. „Für mich bleibt der Eindruck, dass Sanierung und Neubau der Schleusen nicht mit dem nötigen Druck angepackt werden“, sagt er. Ramsauer wehrte sich gestern gegen „die Rüpeleien aus Schleswig-Holstein“, die es in den letzten Tagen gegen ihn gegeben habe, ohne sich auf konkrete Äußerungen zu beziehen. Gleichzeitig kündigte er an, dass er morgen oder übermorgen die Schleuse in Brunsbüttel besuchen wolle.Henning Baethge Norddeutsche Rundschau Copright danke

könnten Kanal
künftig meiden
Schneeweiße Traumschiffe, die auf dem Kanal durch gelbe Rapsfelder gleitet – dieser attraktive Anblick könnte zur Rarität werden. Denn mit Blick auf den Risikofaktor Schleusen wird in den Zentralen vieler Kreuzfahrt-Reedereien darüber diskutiert, den Nord-Ostsee-Kanal aus dem Routenprogramm zu streichen. „Das wäre ein großer Verlust – für das Image der Kanalregion und auch für uns“, sagt Stefan Borowski, Ältermann der Kieler Lotsenbrüder. Auch diese haben bereits von den Überlegungen der weißen Flotte gehört. Deren erste Kanalpassage steht am 13. April an – für ein Clubschiff der Aida-Flotte. Konkrete Routen-Änderungen gibt es noch nicht. Doch es sei klar, dass ein Kreuzfahrtschiff, dass nach einigen Stunden Aufenthalt in Kiel an sich durch den Kanal weiter fahren soll, seinen Reiseplan nicht einhalten könne, wenn es denn den Umweg um Skagen machen müsste. Rund hundert Kreuzfahrt-Passagen durch den Nord-Ostsee-Kanal konnten bisher pro Jahr bestaunt werden und zogen zahlreiche Seeleute an die Wasserstraße.
Direkt betroffen von jedem Schiff, das den Kanal wegen der defekten Schleusen nicht passieren kann, sind die Lotsen. „Unser Einkommen ist um 70 Prozent eingebrochen – das können wir nicht lange durchhalten“, betont Borowski. Gerne würde er Bundesverkehrsminister Ramsauer mal direkt die Meinung sagen. „Doch an den werden wir als Betroffene wohl nicht heran kommen.“
Frank Jungmann, geschäftsführender Gesellschafter von German Tanker aus Bremen, beziffert sein Minus innerhalb der voraussichtlich zweiwöchigen Sperrung auf 390 000 Dollar. Zwar spart er 195 000 Dollar Ge bühren für die NOK-Passage, muss aber durch den 460 Kilometer längeren Weg rund um Skagen 260 000 Dollar zusätzlich für Treibstoff schultern – bleibt ein Saldo von 65 000 Euro Mehrausgaben. Was vor allem dazukommt und in der Summe zu seiner Schadensbilanz von 390 000 Dollar führt, sind 325 000 Dollar, die German Tanker durch den Zeitverzug entstehen. „Währenddessen hätte ich unter normalen Umständen zusätzliche Ladung befördert“, sagt Jungmann.
Alle seine 13 Schiffe pendeln zwischen russischen und baltischen Ölhäfen einerseits sowie Rotterdam und Antwerpen andererseits. In jede Richtung verlängert der Umweg um die Spitze Jütlands die Tour um zwölf Stunden. Weiteres Pech: Gestern ging Jungmann ein schon gebuchter Auftrag von 600 000 Dollar verloren. Eine Folge des durcheinander geratenen Fahrplans: Weil German Tanker nicht zum vereinbarten Zeitpunkt in Russland sein konnte, um zu laden, stieg der Kunde auf die Konkurrenz um.
Copyright Ralf Pöschus
Ebenfalls mit all ihren Schiffen – in diesem Fall drei – fährt Delta Shipping Lines aus Hamburg zwischen Rotterdam und St. Petersburg. Assistant-Manager Matthias Hahn schätzt die Zusatz-Ausgaben für Treibstoff auf der Skagen-Route schon für eine Reise auf 10 000 Dollar je Richtung. „Durch Eisgang in der östlichen Ostsee gibt es ohnehin schon Schwierigkeiten mit der Zuverlässigkeit“, ergänzt Hahn. Weil die Schiffe ohne NOK länger brauchen, kann Delta derzeit Dünkirchen in Nordfrankreich nicht bedienen. Es ist sonst einmal pro Woche Ziel. Gut 150 für Frankreich bestimmte Container mit Kühlgut drohten deshalb in Holland festzuhängen. „Teils haben wir sie auf eigene Kosten per Truck weiterbefördert“, schildert Hahn.
Die dänische Reederei Unifeeder ist mit 1750 bis 2000 Passagen jährlich größter Einzelkunde des Kanals. Allein sie muss nach laut Deutschland-Manager Timm Ulrich Niebergall in den zwei Wochen NOK-Blockade 100 Schiffe um Skagen umleiten. Als Mittelwert für Fahrzeuge verschiedener Größe veranschlagt Unifeeder 20 Stunden und mehr. „Das beeinträchtigt die Kostenkalkulation schwer“, betont Niebergall. Um das Löschen und Beladen zu beschleunigen, sei teils Nacht- und Wochenendarbeit mit Zuschlägen erforderlich. Bereits 2012 habe Unifeeder durch Schleusenausfälle in Brunsbüttel fast zehn Millionen Euro verloren. „Wir haben nunmehr keinen anderen Ausweg gesehen, als unsere Kundschaft um einen Zuschlag zu bitten.“
Im Verhältnis zum Umsatz von Einnahmeausfällen noch stärker betroffen sind Schiffsmakler. Bei ihnen melden sich alle Schiffe für die Kanalpassage an, ordern dort Lotsen und Steurer. Ein Minus von 70 bis 80 Prozent vermeldet Jürgen Funck, Prokurist bei Sartori & Berger in Kiel. Das Haus wickelt eigentlich 40 bis 45 Passagen pro Woche ab. Derzeit sind es sieben bis acht – eben nur Schiffe unter 125 Meter. Und auch die angesichts des Engpasses in Brunsbüttel mit deutlich höheren Wartezeiten. Am Wochenende seien es bis zu neun Stunden gewesen. „Gerade angesichts des Sturms vom letzten Donnerstag bis zum Montag wäre eine Kanal-Passage für besonders viele Schiffe interessant gewesen“, gibt der Mann von Sartori & Berger zu bedenken. Umso mehr Einnahmen seien seiner Firma durch die Lappen gegangen.